Die Lebensstile der Digitalen Nomaden und sonstigen PT - ein schillerndes Kaleidoskop
[Edit: kurze Ergänzung eingefügt in fett am Mo 6.12.21 17:52 MEZ]
Hier ist die im vorigen Beitrag angekündigte Handreichung für Leute, die sich überlegen, ob sie klassisch einwandern oder Digitale Nomaden werden sollen. Ich stelle dar, was alles möglich ist, und zwar immer unter der Voraussetzung, dass man seine Arbeit (fast immer selbständig oder gewerblich [auch Warenhandel ist möglich], aber auch angestellt sein geht) regelmäßig und fach- und sachgerecht über Laptop, Tablet und/oder Smartphone ausübt:
Die Hardcore-Version
Das ist am ehesten was für eher junge und ungebundene Menschen. Sie verhalten sich fast wie gewöhnliche Touristen, aber langfristig und ohne geplantes Ende der Reise. Sie reisen also für wenige Tage bis einige Wochen, selten länger, an einen Ort oder in ein Gebiet und ziehen dann weiter.
Da gibt es auch Ländersammler, die in einem bestimmten Zeitraum soundso viele Länder besuchen wollen oder alle Länder Amerikas oder sogar der ganzen Welt oder z. B. alle Bundesstaaten Mexikos und Indiens.
Wohl die Mehrzahl von ihnen gehen im Lauf der Jahre nach und nach auf eine der folgenden Versionen - oder eine Kombination daraus - über, sei es wegen einer neuen Partnerschaft, einer Familiengründung, fortgeschrittenem Alter oder was auch immer.
Die gemäßigte (meine) Version
Ich bin ungebunden und nicht mehr jung und bevorzuge es, meistens in einem Land so lang zu bleiben, wie man als Tourist bleiben darf und erst dann weiter zu ziehen. Ich blieb auch schon länger als erlaubt (Overstay), aber das muss man sich gut überlegen und es kommt sehr auf das Land an.
Die Fristen ohne Visum für Deutsche reichen von 14 bis 360 Tagen, der Standard ist 90 Tage. Für Österreicher, Schweizer, Liechtensteiner und Südtiroler ist es sehr wahrscheinlich genauso oder zumindest sehr ähnlich.
Bedeutend ist auch folgender Unterschied für Touristen:
Man muss dem Land mindestens so lang fernbleiben, wie man im Land war, mit anderen Worten, man kann maximal die Hälfte der Zeit in dem Land verbringen. Das gilt für die meisten Länder. Beispiel: Wer 75 Tage in Montenegro war, muss für mindestens 75 Tage ausreisen, bevor er wieder einreisen darf für weitere maximal 90 Tage.
Ich habe einen Trick, wie man trotzdem 179 Tage am Stück im Land bleiben darf:
- Einreisen, womit der 180-Tage-Zeitraum beginnt, währenddessen man beliebig bis zu 90 Tage bleiben darf, auch mit Unterbrechungen
- Am selben Tag wieder ausreisen, womit nur ein Tag der Frist verbraucht ist
- 90 volle Tage von Tag 2 bis Tag 91 wegbleiben
- Am 92. Tag wieder einreisen und 179 Tage bleiben, weil
a) die ersten 89 Tage den laufenden 180-Tage-Zeitraum voll machen
b) die weiteren 90 Tage dem nachfolgenden 180-Tage-Zeitraum angehören
Es reicht ein Border Run, also eine kurze Ausreise, nach der man jederzeit wieder einreisen kann, wobei die Frist ab der neuerlichen Einreise neu beginnt.
Hier die besonders langen Fristen aus dem Gedächtnis und ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- 180 Tage: Mexiko, Kolumbien, Armenien
- 360 Tage: Georgien
Mit Visum kann man längere Fristen in etlichen weiteren Ländern haben, teilweise aber nur für spezielle Zwecke oder mit Auflagen oder Beschränkungen und mitunter hohen Gebühren. Aber das ist ein sehr umfangreiches und komplexes Thema, weiter will ich nicht darauf eingehen, nur noch ein Beispiel: Indien hatte vor der Coronazeit ein 5-Jahres-Visum für ca. 130 €, wo man aber spätestens nach 90 Tagen einen Border Run machen musste. Man konnte aber umgehend wieder einreisen.
Die gemütliche, komfortable Version, auch Multilokalität genannt
Man hat langfristig zumindest zeitweise feste Immobilien in verschiedenen Ländern. Der Gestaltungsspielraum ist groß und hängt hauptsächlich von den eigenen Vorlieben und Notwendigkeiten und vom Geldbeutel ab. Beispiel: Familie Maier mit 3 Kindern hat aus u. a. steuerrechtlichen Gründen drei wohnsitzartige Touristenunterkünfte:
Die alte, jetzt vermietete Eigentumswohnung in Deutschland aus der Zeit vor der Auswanderung bewohnen sie idR von Mai bis August als Touristen in Untermiete (wobei sie die ziemlich komplizierte Rechtslage genau beachten müssen, um nicht ungewollt einen steuerrechtlichen und/oder melderechtlichen Wohnsitz wieder zu begründen, worauf sie sich aber ein für allemal sauber eingerichtet haben).
Anschließend sind sie in der AirBnB-Wohnung an der albanischen Küste, die sie jedes Jahr wieder von Anfang September bis Ende November anmieten.
Und für die restliche Zeit mieten sie jedesmal eine andere großzügige Ferienwohnung an der kolumbianischen oder mexikanischen Karibikküste.
So geht es Jahr für Jahr reihum. Und wenn die Kinder groß sind, wollen die Eltern umsteigen auf die zweite Version. Sie unterrichten ihre Kinder teilweise selber und der größere Teil erfolgt über Online-Fernunterricht und auch zeitweise durch jeweils örtliche Bildungsmöglichkeiten.
Damit folgen sie ihrem Gewissen, ihre Kinder nicht vom europaweit (und fast auch weltweit) einzigartigen, gefängnisbewehrten deutschen 1938er Nazi-Schulbesuchszwang heimsuchen lassen zu müssen, erst recht nicht in der jetzigen Ära der traumatisierenden Masken-, Test- und Apartheidfolter. Ihre Kinder brauchen damit nie eine überrannte, triagierende Kinderpsychiatrie und sie haben auch nie Selbsttötungsgedanken.
Die sehr mobile, aber etwas beengte Version
Das war 2006 mein Favorit, scheiterte aber am zu schmalen Budget (später habe ich dann wieder Abstand genommen davon). Denn dazu braucht man ein genügend komfortables, nicht zu kleines Wohnmobil (oder ein Auto mit Wohnwagenanhänger). Und da ist auch bei gebrauchten, die für eine Person ausreichend sind, in aller Regel ein Betrag jenseits der 10.000 € (plus laufende Kosten) nötig, vor allem, wenn es winterfest sein muss.
Der Hauptvorteil besteht mE darin, dass ein Wohnmobil für Digitale Nomaden gleich vier Funktionen erfüllt:
- Wohnung
- Fahrzeug
- Arbeitsort
- Reiseunterkunft
Ersteres und letzteres fallen bei Digitalen Nomaden zusammen, ich stelle es nur zur Verdeutlichung so dar. Denn diese Aufteilung entspricht der alten Denke, dass man eine feste Wohnung hat, welche man von Zeit zu Zeit zwecks Reisen verlässt und wohin man nach jeder Reise wieder zurückkehren muss. Aber das entfällt ja vollständig.
Die wenigen, die das machen, werden zeitweise zur ersten Version wechseln, damit ihnen die Decke nicht auf den Kopf fällt und sie keinen Koller bekommen. Zwei Beispiele:
Markus und Lena sind beide Programmierer und ziehen seit 2 Jahren mit ihrem 8-m-Wohnmobil durch Europa, Vorderasien und Nordafrika. Sie erwarten ihr erstes Kind in wenigen Monaten. Damit haben sie aber noch kein Platzproblem, erst beim zweiten Kind wollen sie umsatteln auf ein 10-m-Wohnmobil mit Kinderabteil.
Es arbeitet immer einer von ihnen "daheim" im Wohnmobil, während der andere fast immer in einem bei Digitalen Nomaden weltweit sehr beliebten Co-working Space (auch Shared Office genannt) arbeitet. Solche gibt es in fast jedem Land der Welt in sehr vielen, auch kleineren Städten.
Wenn der eigene Schreibtisch im voll ausgestatteten Gemeinschaftsbüro mal nicht reicht, mieten sie sich tageweise ein eigenes Büro. Auch für Besprechungen, Vorträge, Konferenzen u. ä. gibt es passende Räume tage-, halbtage- und sogar stundenweise. Die Monats- bzw. Wochen-Mietpreise sind für die beiden sehr erschwinglich.
Alle 6 bis 8 Wochen, wenn sie merken, dass es ihnen zu eng wird und es anfängt, dass sie sich gegenseitig auf den Keks gehen, mieten sie sich einige Tage in einem Hostel ein. Das ist sehr gut für das soziale Leben, neue Kontakte und Gedanken- und Erfahrungsaustausch, nicht nur mit Gleichgesinnten. Je nach Gusto nehmen sie einen geteilten Schlafraum oder ein Privatzimmer.
Da man mit so einem Ungetüm nicht überall hin kann, mieten sie sich für Ausflüge ab und zu einen Kleinwagen oder einen Motorroller. Ihr Tandemfahrrad ist auf der Rückseite des Wohnmobils befestigt.
Luise lebt mit ihren beiden Kindern seit über einem Jahr in einem großen Wohnmobil. Sie ziehen damit bisher ausschließlich im deutschsprachigen Raum reihum von Ort zu Ort und Land zu Land, auch immer wieder in die alte Heimat. Dabei sind sie in keinem Land länger als 179 Tage pro Kalenderjahr.
Die Kinder haben Dank der guten Vernetzung mit Gleichgesinnten eine gute Mischung aus Heim-, Fern- und Lokalunterricht und einen großen multilokalen Freundeskreis. Ab und zu reisen einzelne Freunde der Kinder ein paar Tage im Wohnmobil mit.
Luise ist Musikkabarettistin, weshalb sie ohnehin viel auf Achse sein muss. Sie muss fast immer eine besondere Einkommensteuer zahlen, je nach Land unterschiedlich ausgestaltet, da überall ihr örtlicher Auftritt im Land der Anknüpfungspunkt ist. Aber sie zahlt jetzt weitaus weniger wie vorher mit Ansässigkeit in Österreich.
Außerdem verkauft sie nebenbei hochwertige Textilien mit 3D-Aufdruck über Amazon FBA und Modeschmuck und Naturkosmetik über einen weiteren Fulfillment-Dienstleister. Dabei muss sie sich selbst nur um das Marketing und den Wareneinkauf kümmern, muss dafür aber einiges an die Dienstleister abdrücken für deren viele Tätigkeiten.
Auf hoher See, in der alten Heimat und sonstwo
Vor allem für die nicht mehr jungen Dauerreisenden ("Digitale Nomaden" passt hier meistens nicht mehr, stellt das doch auf eine laufende Erwerbstätigkeit ab) sind Kreuzfahrten (am besten Langzeit mit günstigen Tarifen) zumindest zeitweise eine interessante Option. Ein Beispiel:
Ludwig (71) und Maria (67) haben es zwar schon lang nicht mehr nötig, aber aus Spaß an der Freud geben beide zeitweise Fernunterricht, Ludwig in Physik und Mathematik, Maria in Deutsch und Italienisch.
Sie sind jedes Jahr von Juni bis September in ihrer alten Liechtensteiner Heimat und leben dort als Touristen in einem Apartment bei ihrer Tochter.
Anschließend fliegen sie immer nach Patthaya in Thailand, um wieder ihren geliebten Strandbungalow für 6 bis 7 Wochen zu mieten.
Den großen Rest des Jahres gehen sie auf Langzeit-Kreuzfahrten über die ganze Welt, manchmal machen sie aber auch kürzere Flusskreuzfahrten. Sie haben ihre Stamm-Reedereien, wo sie als langjährige Stammgäste sehr günstige Sondertarife erhalten.
Das ergibt hinsichtlich ihrer Unterrichtstätigkeit zwei Probleme (mit denen sie aber gut klarkommen):
- Auf hoher See sind sie immer offline, können also keinen Unterricht geben, da die Satelliten-Verbindungen extrem teuer sind.
- Sie müssen nun nicht nur die unterschiedlichen Zeitzonen ihrer Schüler und deren jeweilige Differenzen zur eigenen Zeitzone beachten, sondern haben auch noch zu beachten, dass ihre eigene Zeitzone öfters wechselt. (Das wär doch was für @theadamprost! 😋)
Variationen und Kombinationen zu den vorgestellten nomadischen Lebensstilen kann sich nun jeder nach Gusto selber überlegen.
Alle Bilder sind von Pixabay und leicht überarbeitet.
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Beides sehr schön und sehr teuer! Am Vierwaldstätter See war ich noch nicht.
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.Wie streng sind die Länder mit dem Visum so , ist man so fassbar oder wo beginnen die Probleme ?
Wie meinst du das? Meinst du das Visum überziehen, also Overstay?
Ja.
Tut mir leid, dass ich erst jetzt zum Antworten komme! Es macht sehr wahrscheinlich kaum bis gar keinen Unterschied, ob man einen Overstay im Rahmen eines Aufenthaltes macht, für den man ein Visum braucht, oder im Rahmen eines solchen, der visumfrei ist.
Da es zwischen den Ländern gewaltige Unterschiede gibt und das auch andere Leser interessieren wird, greife ich diese Frage in einem der nächsten Beiträge auf. Möglich sind:
Nur kurz 3 Beispiele:
Extrem streng: Russland
Ein Tag Overstay kostet mehrere hundert € Bußgeld, wie ich hörte.
Streng: Thailand
Jeder Tag Overstay kostet 500 Baht (gut 13 €) Bußgeld bis zu einer gewissen Obergrenze.
Locker (kann aber im Einzelfall anders ausgehen, vor allem an Flughäfen): Nordmazedonien
Da hatte ich etwa 6 Wochen Overstay, der Grenzpolizist an der Landgrenze hat nichts gesagt, es ist ganz normal gelaufen.
Hmm und das alles ganze während der Corina Zeit?
Klar wenn man sich unabhängig finanzieren kann,
leider schaffen das auch wieder nur eine Handvoll
wie auch die YouTube / Twitch Steamer / Tik Toker / Influencer und was
sich sonst mittels digitaler Reichweite finanzieren kann.
Dennoch würde denke ich fast jeder tauschen 😌
anstatt in seinem Alltags Trott zu vegetieren...
Tut mir leid, dass ich erst jetzt zum Antworten komme! Ich habe erst mal ganz allgemein dargestellt, was so alles möglich ist, ganz unabhängig von den Restriktionen in dieser verrückten Zeit. Auf diese gehe ich in Folgebeiträgen noch ein.
Wie ich schrieb, kannst du jede Tätigkeit, die du ausschließlich digital und ortsungebunden machst, von überall aus machen. Wenn es sich um eine Anstellung handelt, kann es gut sein, dass du dann gemeldet bleiben musst.
Jeder ist seines Glückes Schmied und es sind auch schon viele Auswanderer auf die Schnauze gefallen, auch digitale Nomaden. Je folgenreicher eine Entscheidung ist, umso besser sollte man es sich überlegen. Und Pech wie auch Glück kann man natürlich immer haben. Und last but not least: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!
Alles gut, komme auch durch meinen Umzug zu nix.
Es ist wie jede Möglichkeit außerhalb vom 8 - 16uhr Job bei dem sich jeder Tag wiederholt bis man tot ist. (Bei der Rente muss man weiter schuften)
Ein Riesen Glücksspiel wie beim Lotto ob Fortuna das für einen vorsieht. ⚠️😞
Bin schon schwer am Überlegen wohin :) Hope all is good with You!
Es freut mich sehr, mal wieder in Kontakt mit dir zu kommen! Mir geht's gut, danke der Nachfrage, und ich hoffe, dir auch! Bist du immer noch in Wien?
Ja, das Wohin ist eine schwierige, komplexe Frage mit sehr vielen Faktoren, wie du weißt, vor allem, wenn man irgendwo klassisch einwandern möchte, beim Nomadentum ist es einfacher. Ich werde dazu noch einiges schreiben.
spannende Zusammenfassung, danke dafür. Überlege gerade welches sonnige Land denn mal für 2-4 Monate gut passen könnte
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