Rechtstreue Trickser: Viel zu dicke dünne Tüten
Dünn genug, aber nicht dick: Die Wochenschrift "Die Zeit" respektiert die Plastiklüge.
Grauenhafte Müllbergen an den Stränden, ganze Felder voller Abfall aus deutschen Supermärkten. Überall am Mittelmeer, in der Südsee und im Indischen Ozean sieht es so aus, immer noch, obwohl die EU bereits vor zwei Jahren mit einem umfassenden Verbot für Trinkröhrchen, Fähnchenstäbchen und Plastiktüten die Axt an die Wurzel des weltumspannenden Übels gelegt hatte.
Seit Anfang des Jahres gilt das Plastiktütenverbot nun schon, eine Notbremse für Fisch und Koralle, allerdings umfasst es nach dem Willen des Gesetzgebers nur Tüten einer bestimmten Materialdicke. Sowohl dünnere als auch dickere Tüten sind weiter erlaubt, ebenso Badelatschen, Turnschuhe, Wasserflaschen, Fischernetze und Sonnenmilchdosen, obwohl jede einzelne hundert- oder gar tausendfach mehr Material enthält als eine Einkaufstüte.
Zu dicke dünne Tüten
Bundesumweltministerin Steffi Lemke ist denn auch stinksauer auf die Betreiber von Supermärkten, die das geltende Plastiktütenverbot mit gewieften Tricks gezielt unterlaufen. Weil das Verbot nur Tüten mit einer Wandstärke von 15 bis maximal 49 Mikrometern umfasst, weichen die Anbieter auf Tüten mit Wandstärken zwischen 50 und 60 Mikrometern aus, die vom gesetzlichen Verbot nicht betroffen sind.
Diese zu dicken dünnen Tüten drohen nun nach Erkenntnissen der Deutschen Umwelthilfe (DUH), zusätzlich zu Energiekrise, Corona, Inflation, Klimakatastrophe und internem Waffenlieferzwist in der Ampel auch noch den weltweit vielbeachteten Versuch der EU zu torpedieren, einen vorbildhaften Beitrag zur Eindämmung der Einwegplastikflut zu leisten.
Deutschland verzeichnet hier stattliche Erfolge: Noch 2014 lag der durchschnittliche Verbrauch mit 76 Tüten pro Einwohner deutlich unter dem EU-weiten Durchschnitt von 198 Plastiktüten, durch das Verbot der kostenlose Abgabe sank der Verbrauch dann auf nur noch 29 Stück pro Kopf im Jahr 2017.
Umgehung der Regeln durch Einhaltung
Zugleich aber schoss die Nachfrage nach den aufgrund der nachsichtigen EU-Gesetzgebung weiterhin kostenlosen, dünneren Obsttüten von 36 auf 39 Stück nach oben. "Schummeltüten" nennt Steffi Lemke diese Praxis, die sich formal demonstrativ rechtstreu gibt, aber darauf zielt, den Staat und seine Institutionen verächtlich zu machen und allgemeinem Spott preiszugeben.
Wenn Supermärkte und Discounter Einwegtüten aus Plastik einfach um wenige Mikrometer dicker machten, um sie legal anbieten zu können, sei das kein legaler Service, der das Kundeninteresse berücksichtige, nicht auf Kunststoffverpackungen verzichten zu wollen, weil sie alles von Getreide bis Saft frischer halten und Transportverluste reduzieren. Sondern ein Versuch, das Verbot zu umgehen, wie die Grünenpolitikerin der Danachrichtenagentur DPA mitteilte.
Kämpfende Ministerin
Der grünen Ministerin aber sind die Hände gebunden. Zwar ist Lemke neben Klimaminister Robert Habeck, Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, Bauministerin Klara Geywitz und Justizminister Marco Buschmann hauptverantwortlich für die Umsetzung des Tütenverbotes, um das die damals noch 28 Mitgliedsstaaten der EU ein Jahrzehnt lang engagiert gerungen hatten. Doch die Vorgaben der in Brüssel und Straßburg sowie im Europäischen Rat verhandelten Richtlinie 2015/720 - besser bekannt als "Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 94/62/EG betreffend die Verringerung des Verbrauchs von leichten Kunststofftragetaschen", setzt dem deutschen Ringen um dünnere dünne Tüten und dem Kampf gegen verächtlichmachende dickere dünne Tüten enge gemeinschaftliche Grenzen.
Tricks gegen Tütenverbot
Danach sind " leichte Kunststofftragetaschen mit einer Wandstärke unter 50 Mikron" verantwortlich für "Umweltbelastungen und das weitverbreitete Problem der Ansammlung von Abfällen in Gewässern, die weltweit die aquatischen Ökosysteme bedrohen", nicht aber Tüten dickerer Wandstärken oder andere Gebrauchsgegenstände aus Kunststoffen. Damit Europa mit einer Stimme spricht, für die bedrohte Meereswelt, für die Fische und Schildkröten, können Bundesregierung und Bundesparlament das Tütenverbot nicht einfach auf dickere Kunststofftragetaschen erweitern. Es gebe da nur einen "eingeschränkten Handlungsspielraum", entschuldigte Steffi Lemke ihre zögerliche Haltung mit dem geltenden EU-Verbot für ein Verbot auch dickwandigerer Tüten.
Zahnlos aber ist der Rechtsstaat nicht. Das geltende Recht an der Nase herumzuführen, indem sie Einwegtüten einfach minimal dicker machen, schade der Umwelt und müsse unterbleiben, mahnte Steffi Lemke Supermarktketten, Dönerbuden, Spätis und den vietnamesischen Obsteinzelhandel zur Umkehr auf den Pfad des Rechts und des Respekts vor dem Geist des Willens des Gesetzgebers. "Ich hoffe, dass es nicht schon wieder eine gesetzliche Regelung braucht", erklärte Lemke.
Ein dreifach kräftiges Hoch auf Verbotspolitik und Interventionismus, vor allem den nach EU-Machart! 😁 🥴 Wieder mal treffsicher und eloquent aufs Korn genommen, weiter so! 👍🏽
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He drank his coffee before it was cool.
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