Energetischer Irrtum: Wie der Glaube an russisches Gas die Grünen verließ
Der grüne Traum von den Gaskraftwerken als Übergangstechnologie gründete im Glauben an zuverlässige Lieferungen aus Russland. |
Nach dem Eingeständnis des Bundespräsidenten, der sein Festhalten an der Pipeline Nord Stream 2 endlich als "falsch" beschrieben hatte, um aus den Schlagzeilen zu kommen, steht die gesamte unselige deutsche Energiepolitik der zurückliegenden Jahrzehnte vor Gericht. Steinmeier hatte zugegeben, sich in der Einschätzung Putins "geirrt" zu haben. Der frühere SPD-Politiker hatte als Gerhard Schröders Kanzleramtschef und Angela Merkels Außenminister fast 15 Jahre lang mitverantwortlich für eine deutsche Russland-Politik gezeichnet, die Konfrontation vermieden und stattdessen versucht hatte, Russland durch wirtschaftliche "Brücken" (Steinmeier) einzubinden in ein gegenseitiges Verhältnis enger Abhängigkeiten im gemeinsamen Haus Europa, von dem schon Gorbatschow, Brandt, Honecker und Lafontaine geträumt hatten.
Richtig grundfalsch
Lange als richtig verkauft, schließlich aber doch grundfalsch, so zumindest steht es im Altpapier von morgen. Die großen Magazine, Tageszeitungen und Wochenschriften waren zumindest aus heutiger Sicht stets gegen deutsche Wirtschaftsbeziehungen mit dem unkalkulierbaren Osten, stets gegen Abrüstung, stets gegen gegenseitige Abhängigkeiten, deren friedenserhaltende Kraft in den Fortschrittsredaktionen in Köln, Hamburg, Berlin und München grundsätzlich bezweifelt wurde.
Der Russe, er war seit seit seinem völkerrechtswidrigen Vormarsch nach Polen vor 100 Jahren kein anderer geworden. Mehr Bär als Mensch, sieht er die Landflächen an seiner Ostflanke als von der Entente gesteuerte Staaten, die es als "Brücke nach Europa" (Lenin) braucht, die Revolution nach Westen zu tragen. Deutschland hätte sein Heil deshalb schon lange in energetischer Souveränität suchen müssen, so viel ist klar.
Der grüne Glaube an russisches Gas
Zum Glück denkt nun ausgerechnet die Öko-Partei in der Ampel eilig um. Die Grünen, bis vor wenigen Wochen noch entschlossen, den klimafreundlichen Umbau der deutschen Wirtschaft mit Hilfe von russischem Gas zu bewerkstelligen, haben sich über Nacht umentschieden. Energieversorgung, bisher ein belächeltes Thema von preppernden Stammtischrunden, ist neuerdings eine Frage der nationalen Sicherheit: Bürgerinitiativen und Rotmilane, Menschenrechtler und Pazifisten, sie alle müssen zurücktreten von der Bahnsteigkante, an der der neue Ökotrain zur Friedensfahrt aufbricht.
Ganz verschütt gegangen ist dabei das Wissen darum, dass es keineswegs nur Schröder, Steinmeier und Merkel waren, die Anfang der 2000er Jahre die Weichen auf eine deutsch-russisches Versorgungspartnerschaft stellten. Die Älteren erinnern sich: Der damalige Außenminister Joschka Fischer und sein grüner Umweltministerkollege Jürgen Trittin ebneten den Weg bereitet zum Ausbau der deutschen Abhängigkeit von russischen "Fossilen" (Ricarda Lang). SPD-Kanzler Gerhard Schröder war es zwar, der die Vereinbarungen zum Bau der Pipeline Nord Stream I gemeinsamm mit Wladimir Putin unterzeichnet und damit die Partnerschaft zwischen Gazprom, E.ON Ruhrgas und Wintershall angeschoben hatte.
Marginale grüne Bedenken
Doch die damaligen grünen Bedenken waren marginal, nie grundsätzlich. Sie galten bei Nord Stream I der Bedrohung des maritimen Umfeldes, bei Nord Stream II schürten grüne Funktionäre die Furcht, die USA seien "gegen jede Pipeline aus Russland oder der Sowjetunion", damit Europas Gas "teurer werde", weil das "der amerikanischen Industrie zugute, aber auch dem möglichen Export von US-Flüssiggas" (Jürgen Trittin). Jede zusätzliche Pipeline mache das teure amerikanische Flüssiggas weniger wettbewerbsfähig, aber klimafreundlich sei es nicht. "Der CO₂-Abdruck, den es hinterlässt, ist weit größer als beim Pipeline-Gas", urteilte Jürgen Trittin.
Als die Grünen im Wahlkampf ihre Pläne für ein "Marktdesign, das die Rahmenbedingungen für ein klimaneutrales Energiesystem richtig setzt" vorstellten, ruhte das zentral auf neuen Gaskraftwerken, weil die wegen des angestrebten Kohleausstieges "aktuell zwingend notwendig" seien. 30 bis 40 solcher Kraftwerke sollten gebaut werden, alle für irgendwann später "bereits Wasserstoff-ready geplant" (Grüne) - nach Verfahren allerdings, die sich derzeit noch in der Erprobung befinden und keinerlei Chance haben, in den kommenden drei, vier Jahren massenhaft großtechnisch umgesetzt zu werden.
Zauberkunststück Osterpaket
Mit dem "sogenannten Osterpaket" ist dem Klimaminister so ein doppeltes und dreifachen Zauberkunststück gelingen. Einerseits sieht es plötzlich aus, als habe es die grüne Hoffnung auf die große Erdgasbrücke in eine klimaneutrale Zukunft niemals gegeben. Andererseits erübrigt sich jede Entschuldigung für frühere russlandfreundliche Positionen, nach denen amerikanische Sanktionen gegen "die souveräne Gestaltung europäischer Energiepolitik" aus grüner Sicht "ein aggressives Mittel" waren, "die offenbar nur einem Ziel dienen - sie sollen der Energiedominanz der USA Vorschub leisten".
Der russische Angriff auf die Ukraine hat die Wahrheiten der Vergangenheit als Irrtümer enttarnt, denen aber eigentlich nur - einer muss es machen - Walter Steinmeier anhing. Dessen frühere Einschätzung, "dass Wladimir Putin nicht den kompletten wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruin seines Landes für seinen imperialen Wahn in Kauf nehmen würde", haben im politischen Berlin über Jahrzehnte alle geteilt. Geirrt aber und gescheitert beim Versuch "der Errichtung eines gemeinsamen europäischen Hauses, in das Russland einbezogen wird" (Steinmeier) sind nur ausgewählte Anhänger des Ansatzes, Russland in eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur einzubinden.
Freiheitsenergie-Importe
Schlagartig hat russisches Erdgas nun schlechtere klimatische Eigenschaften als Freiheitsenergie-Importe aus Fracking-Förderung, die mit LNG-Tankern angeschippert werden. Erdgas, im Januar noch auserkoren, als Rettungsanker für das schlingernde deutsche Wirtschaftsschiff zu dienen, ist hinter die Atomkraft, hinter die Braunkohle und knapp vor dem Erdöl gerutscht.
"Europas grüne Zauberei" (Der Spiegel), hat sich selbst an allen Extremitäten gefesselt: Die EU-Kommission sieht in der fossilem Gasförderung einen Klimabeitrag, der steuerlich zu fördern ist. Robert Habeck kritisierte das als "Greenwashing", ehe er nach Katar flog, um dort nach Zusatzlieferungen zu fragen. Die Bundesregierung hatte die EU-Pläne zur Förderung von Gasprojekten begrüßt, ist nun jedoch umgestiegen. Statt auf Kohle, Öl und fossilem Gas soll das zukünftige Energiesystem nun komplett auf Sonnen- und Windenergie basieren, wenigstens irgendwann.
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